Ein zerbrochener Füller.
Blutspritzer, die auch Tinte sein könnten – wenn nicht unter dem Titel ganz klein „Thriller“ stehen würde.
Auf der Rückseite dann:
Henry Cutter hat viele Menschen ermordet – sehr viele Menschen. Doch die Morde finden nur in seiner Imagination statt, denn er ist ein berühmter Thriller-Autor. Eines Tages behauptet Cutter, die geschilderten Morge tatsächlich begangen zu haben. Niemand glaubt dem Autor, denn unlängst wurde bei ihm eine voranschreitende Demenz diagnostiziert.
[…]
Klingt spannend – und das ist es auch!
Mein ‚kleiner‘ Bruder hat mit seinem Weihnachtsgeschenk also definitiv meinen Geschmack getroffen, denn von ihm habe ich „Zerschnitten“ von Paul Cleave bekommen. Damit hat er mir nicht nur ein paar sehr spannende Lese-Stunden beschert, sondern auch meinen Status als ‚Leseratte‘ gerettet. Was Bücher anging, war vergangenes Weihnachten nämlich nicht so ergiebig – aber trotzdem total schön!
Startschwierigkeiten
Wenn du dich jetzt fragst, weshalb diese Rezension erst im Februar auf Perlenseiten auftaucht: Ich hatte doch ein paar Startschwierigkeiten mit dem Schreibstil. Oft brauche ich Weile, um mit fremden Schreibstilen warm zu werden. Insbesondere, wenn er ‚von der Norm‘ abweicht. Für mich war beispielsweise richtig verwirrend, dass „Zerschnitten“ in großen Teilen im Präsens geschrieben ist.
Diese Nähe zur Handlung war für mich so ungewohnt, dass ich das Buch nach den ersten 10 Seiten zur Seite legen und eine Nacht drüber schlafen musste.
Aber! schon am nächsten Tag konnte ich dem Drang, weiter in die Geschichte einzutauchen, nicht mehr widerstehen.
Aufbau
„Zerschnitten“ wirkt tatsächlich irgendwie…. ja, zerschnitten ist wohl das richtige Wort.
Auf das erste Lesen klingt das sicher blöd, aber es ist Fakt: Tagebucheinträge von ’nach der Diagnose‘ unterbrechen in unregelmäßigen Abständen die gerade stattfindende Handlung und nehmen den Leser mit in eine Reise des geistigen Zerfalls, Verleugnung der Krankheit, Misstrauen und Informationen, die das aktuelle Geschehen erst verständlich machen.
Wohin geht die Reise?
Und wo beginnt sie?
Eigentlich schon lange, bevor die eigentliche Handlung des Buchs startet – nämlich dabei, dass Jerry Grey in seinem Tagebuch Protokoll des Wahnsinns festhält, wie seine Demenz-Erkrankung voranschreitet.
Interessant zu beobachten war, wie eindeutig er die fünf Phasen der Trauer durchschreitet. Anfangs leugnet er die Erkrankung, später werden seine Einträge zorniger, bevor er beginnt, mit sich selbst zu verhandeln, und so weiter.
Dabei ist er so selbst-ironisch, dass ich trotz der schweren Thematik (jedenfalls am Anfang) immer wieder lachen musste. Kleines Beispiel gefällig?
„Du hast vergessen, was du an diesem Tag gekocht hast, aber falls du das wirklich wissen musst, dann schick einen Brief an Jerry Grey, wohnhaft in der Vergangenheit, und ich melde mich bei dir.“
Wir lernen auch ziemlich schnell, dass Henry Cutter das Pseudonym von Jerry Grey ist. Außerdem erfahren wir, dass er im Pflegeheim untergebracht ist – und von dort wohl immer wieder ausbricht, um dann vollkommen orientierungslos in der Stadt aufgegabelt zu werden.
Während ich diese Rezension schreibe, merke ich hin und wieder selbst, wie sehr mich diese beiden Namen auf einer Person verwirren. Da ist es nur verständlich, dass es auch Jerry – oder Henry? – im Verlaufe seiner Erkrankung zunehmend verwirrt.

Es bleibt tatsächlich recht lang unklar, ob (und wen) Jerry jemanden ermordet hat.
Als er neben einer schlimm zugerichteten Frau aufwacht, scheint er endlich Klarheit darüber zu bekommen, dass er wirklich ein Mörder ist. Er schaltet auf Autopilot, zieht sich um und sucht das nächste Einkaufszentrum, um dort eine Pre-Paid-Karte zu kaufen und seinen Kumpel Hans anzurufen. Der holt ihn ab, stellt ihm Fragen und beteuert, dass er sein Freund sei, während sie zur Polizei fahren. Bis er vom Protokoll des Wahnsinns erfährt, das Jerry irgendwo in seinem alten Haus versteckt hat.
Plötzlich ist nicht mehr klar, wem Jerry überhaupt noch vertrauen kann. Sich selbst? Definitiv nicht, dafür ist Captain A, wie er seine Alzheimer-Erkrankung nennt, viel zu weit fortgeschritten.
Den Pflegern? Nachdem er Stiche in seiner Armbeuge findet, die eindeutig von Injektionsnadeln herrühren, will er auch ihnen nicht mehr trauen.
Und Hans?
Ihm muss er wohl oder übel vertrauen, schließlich ist das der einzige Freund, den er noch hat. Aber ob er wirklich ein Freund ist?
Fragen über Fragen, die weder Jerry noch Henry beantworten können. Jerry selbst möchte Hans glauben, während Henry misstrauisch bleibt.
Ob es klug ist, dass er sich letztlich für das Vertrauen entscheidet, musst du allerdings selbst lesen.
Mein Fazit
Ich persönlich habe „Zerschnitten“* nach den anfänglichen Schwierigkeiten wirklich gerne gelesen – gleichzeitig aber auch immer wieder gemerkt, wie schwer mir das aufgrund der Thematik stellenweise gefallen ist (trotz des Galgenhumors, der das eindeutig aufgelockert hat). Für mich war „Zerschnitten“ ein Buch, für das ich mir Zeit nehmen musste, um es zu lesen (und im Anschluss zu verarbeiten).
Mit dem Ende bin ich ehrlich gesagt nicht so richtig zufrieden. Es ist irgendwie weder ein Happy noch ein Bad End. Andererseits: Gibt es überhaupt ein Happy End, wenn Demenz mit an Bord ist?
Wenn du offen bist für Thriller, dann kann ich dir Paule Cleaves „Zerschnitten“ eindeutig empfehlen. Und wer weiß, vielleicht lese ich dieses Buch irgendwann sogar noch ein zweites Mal! Ich bin mir sicher, dass in den Tagebucheinträgen eine Meeeeenge Hinweise versteckt sind, die ich erst finde, wenn ich weiß, worauf ich achten muss.
Was ist mit dir?
Hast du „Zerschnitten“ schon gelesen oder hast es noch auf deinem SuB? Dann lass mir doch gern ein Kommentar hier auf Perlenseiten oder beim zugehörigen Instagram-Post unter @Perlenseiten da! Ich bin gespannt.